08.06.2021

Hinter den Kulissen: Teile konstruieren

Die Vorstellungskraft muss sich mit der Realität vermischen, damit aus einer Vision ein Projekt wird. Die Konstruktion, die im weiteren Sinne als Prozess der Definition von Funktion und Form eines Objekts definiert werden kann, erfüllt diese Funktion.

Auch bei uns, bei Pie Aeronefs SA, ist eine der strategischsten Phasen bei der Entwicklung des vollelektrischen Rennflugzeugs UR-1 die mechanische Konstruktionsarbeit, geleitet von unserem Maschinenbau-Ingenieur, Oliver Ensslin. Einer Idee Gestalt zu geben und sie zu konkretisieren ist keine leichte Aufgabe. Besonders, wenn man an einem fortschrittlichen Projekt wie dem unseren arbeitet. Alle Phasen dieses Industriedesigns sind eng miteinander verknüpft. Dies vor allem, weil jeder Schritt in eine Richtung alle Aspekte der anderen Schritte berücksichtigen muss.

In der mechanischen Konstruktion umfassen Projekte mehrere Entwicklungsstufen und erfordern die Einhaltung strenger Regeln. Dies, weil jede kleine Änderung Teil eines Gefüges ist, das aus einem komplizierten Gleichgewicht zwischen Variablen und Einschränkungen besteht.

Da dieser Prozess sehr kreativ ist, haben wir von Pie Aeronefs SA beschlossen, Ihnen die Möglichkeit zu geben, einen Blick hinter die Kulissen der mechanischen Konstruktion zu werfen.

Erste Gedanken

Die ersten Gedanken beim Konstruktionsprozess für die Teile der UR-1 beziehen sich auf die jeweiligen Funktionen, die das Teil erfüllen muss. Im Wesentlichen: Wofür ist ein Teil gemacht? Da ein Flugzeug ein komplexes System ist, müssen wir oft mehrere Funktionen in einem einzigen Teil optimieren und kombinieren. Darüber hinaus kann die Konstruktion eines Teils von vielen Aspekten wie beispielsweise von den Komponenten, die um das Teil herum platziert werden, beeinflusst werden.

Neben all den Variablen und Einschränkungen, die wir berücksichtigen müssen, müssen wir auch an den Lastpfad denken: Die Kräfte, die durch ein Teil hindurchgehen. So ging es unserem Team der mechanischen Konstruktion bei der Konstruktion eines Bauteils nicht nur darum, das beste Material zu finden, sondern auch darum, herauszufinden, wohin sich die Kraft und das Momentum bewegen.

Wichtig ist auch zu beachten, dass Masse und Lasten immer die treibenden Kräfte für die Konstruktion eines Teils sind.

Wichtige Aspekte

Es gibt viele Aspekte, die bei der Konstruktion zu berücksichtigen sind. Eine strategische Rolle ergibt sich dabei aus den Diskussionen, welche die Teams, mit jeweils unterschiedlichen Aufgaben, miteinander führen. Das Team der mechanischen Konstruktion muss wissen, was die Teilehersteller, beispielsweise unsere Experten für Verbundwerkstoffe, mit ihrem Wissen und ihrer Ausrüstung leisten können. Gleichzeitig wird die Konstruktionsarbeit durch die Empfehlungen unserer Statiker beeinflusst.

Darüber hinaus gibt es während des Konstruktionsprozesses viele Fragen, die genau beantwortet werden müssen: Wird das Teil der Umgebung standhalten (Stichwort: Korrosion)? Was passiert, wenn jemand es falsch bedient? Wie könnte ein Teil versagen und was könnten die Folgen sein? Was passiert, wenn ein Teil an seine Grenzen bezüglich der Toleranzen stösst? usw...

Es ist offensichtlich, dass die Komplexität eines Teils bestimmt, wie viele Fragen beantwortet werden müssen und wie hoch der Arbeitsaufwand für die Konstruktion des Teils ist. Ein einfacher Stift kann in weniger als einem Vormittag konstruiert, vom Statiker geprüft und dann für die Fertigung gezeichnet werden. Der Flügel hingegen, unser bisher komplizierteste Teil, benötigt mehrere Wochen für die Konstruktion. Wenn eine Lösung nicht funktioniert, müssen wir zurückbuchstabieren und von vorne beginnen.

Die Kommunikation zwischen den Teams ist fundamental wichtig. Oder wie unser Ingenieur Oliver Ensslin sagt: „Engineering ist nichts, was man alleine macht“».

Material auswählen

Viele verschiedene Materialien haben ihren Platz in unserem Flugzeug. Sie alle haben unterschiedliche Eigenschaften. Die wichtigsten Eigenschaften, nach denen wir suchen, sind das Gewicht pro gegebenem Volumen (Dichte), die Last, die es auf einem gegebenen Querschnitt aushalten kann (Festigkeit) und wie stark es sich unter einer Kraft verformt (Steifigkeit).

Allgemein hat Kohlefaser eine sehr gute Mischung aus diesen Eigenschaften und wir verwenden sie häufig im Flügel. Aber sie ist nicht einfach zu fertigen. Da dieses Material aus Fasern besteht, ist es besser, eher flache Teile damit herzustellen.

Wenn es um die Konstruktion von Teilen mit präziser und komplizierter Geometrie geht, bevorzugen wir Aluminium. Es ist einfach, das benötigten Teil aus einem Block herauszufräsen. Dabei muss beachtet werde, dass der Fräskopf alle Flächen erreichen muss.

Auch Stahl und Titan haben ihren Platz. Wir verwenden sie hauptsächlich für kleine, hochfeste Teile wie Bolzen oder Stifte. Im letzten Jahrzehnt haben sich auch die Kunststoffe für den 3D-Druck stark verbessert. Durch dieses Herstellungsverfahren ist es nun möglich, sehr komplizierte Geometrien zu geringen Kosten zu erzeugen. Leider kann dieses Material keine grosse Last tragen, was seine Verwendung stark einschränkt.

Für unsere Batterieschränke haben wir ein ganz spezielles Material ausgewählt, das der Hitzeentwicklung im Brandfall standhält. Nach vielen Tests mit verschiedensten Materialien sind wir auf ein keramisches Material gekommen, das Kohlefaser enthält.

Werkzeuge

Für die Konstruktion unseres vollelektrischen Rennflugzeugs UR-1 verwendet unser mechanisches Konstruktionsteam ein spezielles Programm namens «CAD» (Computer Aided Design). Es ist das Hauptwerkzeug für einen Konstrukteur und hilft dem Team zu sehen, wie die Dinge zusammenpassen können. Das Programm ermöglicht uns, Teile zu verschieben, verschiedene Lösungen zu versuchen und schliesslich zu sehen, wie die Dinge funktionieren würden.

Die Ingenieure können die fertige Geometrie an die Statiker senden, damit diese verschiedene Belastungstests mit einer speziellen Software wie ANSYS durchführen können. Danach kann das Team die Geometrie an unsere Flugzeugtechniker übermitteln, um beispielsweise die Formen zu fräsen. Das CAD ist auch nützlich, um Zeichnungen für die Werkstatt zu erstellen und sie zu organisieren.

Eine weitere wichtige Software, die wir verwenden, ist «SVN» (Subversion). Sie ist nützlich, um unsere Daten zu speichern und zu organisieren. Wir haben damit einen schnellen und einfachen Prozess entwickelt, um die Zeichnungsversionen und -freigaben jederzeit verfolgen zu können.

Lesen Sie mehr über die Organisation unserer Dokumente

Interview

Oliver Ensslin, unser leitender Ingenieur Strukturen / mechanische Konstruktion, spricht in diesem Interview über die Prozesse und erzählt mehr über die Schritte, die für die Konstruktion der Teile erforderlich sind.